Am 27. Februar 2021 fand auf dem Georgiiplatz eine öffentliche Kundgebung der WGG zum Thema Darmstädter Landraub an der Griesheimer Gemarkung statt.

Auf dieser Seite möchten wir Sie über unsere Beweggründe informieren und Sie im Nachhinein an dieser Veranstaltung teilnehmen lassen.

Rede zur WGG-Veranstaltung „Rückgabe der geraubten Gemarkungsgebiete“ am 27.02.2021 von Werner Schmachtenberg (WGG)

Im Folgenden veröffentlichen wir hier die Rede von Werner Schmachtenberg.
(Unten finden Sie den Film mit dieser Rede im Orginalton)

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Presse.

Mein Name ist Werner Schmachtenberg und ich begrüße Sie als 2. Vorsitzender der Wählergemeinschaft Griesheim, der WGG, deren Vorsitzenden Walter Keller dort steht und sie wegen der Hygieneregeln hinsichtlich der Verstärkeranlage nicht persönlich begrüßen wird.

Wir haben uns heute an einem in mehrfacher Hinsicht historischen Ort Griesheims versammelt. Das gesamte Gelände war seit 1874 ein großer Truppenübungsplatz mit Unterkunftslager, auf dem 1877 und 1897 Kaisermanöver stattfanden. Ab 1909 war hier der erste deutsche Flugplatz, auf dem August Euler 1910 den ersten Pilotenschein des Reiches machte und von dem aus 1912 der erste deutsche Postflug stattfand. Im Ersten Weltkrieg lagen hier Jagdflieger, nach dem Krieg wurde das Gelände von den französischen Besatzungstruppen bis 1930 genutzt.

Ab 1930 konnte auf dem Gelände wieder Flugbetrieb stattfinden, 1933/34 wurde der Flughafen Darmstadt von der zu klein gewordenen Lichtwiese nach hier verlegt, daher heißt bis heute die Zufahrt Flughafenstraße. Wegen des Versailler Vertrages durfte der Flugplatz nicht Flughafen Griesheim heißen, das spielte 1933 noch eine Rolle. Neben Forschungsflügen der Technischen Hochschule, der akademischen Fliegergruppe Akaflieg und der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug, der DFS, gab es noch die Hessenflieger als Sportflieger, aber auch kommerziellen Flugbetrieb, zwei Flüge pro Tag. Ab 1935 war auch die Luftwaffe hier stationiert, der Platz wurde zum Einsatzhafen erster Ordnung ausgebaut, diente jedoch eher der Ausbildung und Forschung. Hanna Reitsch arbeitete hier als Testpilotin und die Luftwaffengeneralität ließ sich von ihr den hier entwickelten Lastensegler DFS 230 vorführen.

vor 1937

Von der zunehmenden Militarisierung des Deutschen Reiches wollte auch die Stadt Darmstadt profitieren, und zwar auf Kosten ihrer Nachbarn. Bereits 1935 hieß es in der Darmstädter Denkschrift „Eingemeindung von Arheilgen, Eberstadt, Griesheim“: „Die Bedeutung der Stadt steht und fällt mit ihrem Ausbau als Behördensitz und Garnison. Es kommt darauf an, das Darmstadt über genügendes Gelände für die zu errichtenden Militärbauten, Übungsplätze usw. verfügt.“ Darmstadt plante also, sich ganze Gemeinden einzuverleiben oder, wenn dies nicht gelang, diesen möglichst viel Land zu rauben. Darmstadts nationalsozialistischem Oberbürgermeister Otto Christoph Wamboldt, einem ehemaligen Postbeamten, fehlte dazu nur noch der Komplize.

Den fand er in seinem Postkollegen Jakob Sprenger, NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter Hitlers in Hessen und einzigem Mitglied der hessischen Landesregierung. Für Sprenger waren zur Ausschaltung seiner Konkurrenten in der Regierung Lüge, Urkundenfälschung und Nötigung selbstverständliche Mittel der politischen Auseinandersetzung, wie ich selbst bei meinen Forschungen feststellen konnte. Sprenger schickte 1937 die gewünschte Verfügung, mit der 800 ha der südöstlichen Gemarkung, ein Drittel von Griesheim, Darmstadt zugeschlagen wurden. Während die Gemarkung mit ihrer Steuerkraft, hier besonders die Industriebetriebe in der Siedlung Tann, sofort an Darmstadt übergingen, durfte sich Darmstadt auf Weisung Sprengers beim Ausgleich seines Anteils der Griesheimer Schulden 28 Jahre Zeit lassen.

das geraubte Land (rot)

Die Bemühungen zur Militarisierung Darmstadts hatten den Erfolg, dass die Stadt in der Zielliste der alliierten Bomber nach oben rückte und beim zweiten Versuch in der Nacht vom 11. zum 12. 9. 1944 zu großen Teilen vernichtet wurde, nachdem der erste, gescheiterte Versuch in der Nacht vom 25. zum 26. 8. 1944 zur weitgehenden Vernichtung von Griesheim geführt hatte. Nach dem verlorenen Krieg zogen in die nicht zerstörten Kasernen die amerikanischen Besatzungstruppen, auf das Flughafengelände kamen amerikanische Heeresflieger.

Nach dem Ende von Krieg und Naziherrschaft dachte Darmstadt trotz seines eigenen Schicksals nicht daran, die geraubten Gebiete zurückzugeben. Es dachte aber sofort daran, seine Schulden gegenüber Griesheim 1:10 abzuwerten. Der Verfasser der Darmstädter Denkschrift zum Landraub, das NSDAP-Mitglied Dr. Holtzmann, behauptete plötzlich, die Militarisierung Darmstadts wäre kein Grund für die Umgemarkung gewesen. 1956 verfasste er noch ein seinerzeit so genanntes „Zigeunergesetz“ zur Diskriminierung von Sinti und Roma, er erhielt das Große Verdienstkreuz und wurde von der Stadt Darmstadt mit einer Ehreneiche bedacht. Einen Grund für die Untersuchung seiner Rolle im Nationalsozialismus und danach sieht Oberbürgermeister Partsch nicht. Wie sie nun wissen, hätte dies auch unangenehme Folgen für Darmstadt.

Alle Versuche Griesheims, seine geraubten Gebiete zurück zu bekommen, wurden von den Parteien in Darmstadt, mit Ausnahme der KPD, konsequent blockiert, wobei die Darmstädter Parteien, wie auch schon die NSDAP während der Zeit des Nationalsozialismus, ihre guten Verbindungen zur hessischen Landespolitik nutzten. Anträge Griesheims wurden in Wiesbaden von einem Ministerium zum anderen geschoben und nicht entschieden. Das Leugnen der militärischen Motive und die damalige starre Haltung Darmstadts, seine Beute behalten zu wollen, führten nach einer der vielen fruchtlosen Verhandlungsrunden zu dem empörten Ausruf des Griesheimer Bürgermeisters Daniel Müller an die Adresse der Darmstädter Vertreter: „Ihr seid noch schlechter als die Nazis!“

Nachdem Griesheim immer wieder auf Rückgabe der geraubten Gebiete drang, drohe Darmstadt schließlich 1977 bei der Gebietsreform mit der vollständigen Eingemeindung von Griesheim. Letztendlich erhielt Griesheim nur das Gelände der Siedlung St. Stephan zurück, auf dem Heimatvertriebenen lebten, die sich fragten, warum sie Darmstädter sein mussten, während sie in ihrem Alltag in Griesheim lebten. Vor der Rückgabe machte die Stadt Darmstadt jedoch noch schnell Kasse, indem sie die öffentlichen Flächen zur Bebauung verkaufte, weswegen St. Stephan heute seinen ursprünglichen Dorfanger zwischen den beiden Flügeln der Draustraße verloren hat. Erst 2007 durften die letzten St. Stephaner, die südlich des Südringes wohnten, auch Griesheimer werden. Das Gebiet wurde zusammen mit der heutigen Konversionsfläche an Griesheim übergeben, jedoch erst, als Griesheim seinerseits einen Teil seiner Gemarkung an Darmstadt abtrat. Zu groß war wohl auf Seiten Darmstadts die Angst, mit einer Rückgabe ohne Gegenleistung das NS-Unrecht anzuerkennen.

Griesheim 2021

Heute stehen wir vor dem Tor zur Innenstadt des Darmstädter Stadtteils Landraub. Auf die blühenden Landschaften werden sie noch etwas warten müssen, bis im Frühjahr das Unkraut wieder spießt. „Nicht die Sucht, die eigene Macht zu vergrößern, sondern der Wunsch, der Bevölkerung […] zu dienen, zwingt die Stadt Darmstadt, die Eingemeindung der Vororte zu beantragen.“, so die Behauptung Darmstadts 1935. Die in diesen Worten liegende Heuchelei wird noch durch die abfällige Bezeichnung als „Vororte“ verstärkt. Wie der Dienst an der Bevölkerung praktisch aussieht, sehen sie hinter mir: Während Grüne die Zersiedlung der Landschaft beklagen, liegt hier vor unseren Augen eine bebaute Fläche brach, verfallen Häuser, während gleichzeitig dringend Wohn- und Gewerbeflächen in der Region benötigt werden. Aber diese Flächen können nur über Griesheimer Gemarkung erreicht werden, werden von Griesheim mit Wasser versorgt und leiten ihr Abwasser in die Griesheimer Kläranlage. Also lässt man sie in Darmstadt lieber verrotten und verkommen!

Wir stehen hier jedoch nicht nur vor dem Zeugnis der gescheiterten Machtausdehnung Darmstadts, den Ruinen des Stadtteils Landraub, sondern, wie sie sehen, auch auf dem Georgiiplatz. Prof. Georgii, Leiter der DFS, seit 1958 Träger des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, wurde dieser Platz 1996 vom Darmstädter Magistrat gewidmet, der Platz wurde 1997 eingeweiht. Nun jedoch entdeckte der Darmstädter Magistrat, dass Darmstadt sich dringend von seiner nationalsozialistischen Vergangenheit distanzieren muss. Alle möglicherweise betroffenen Straßennamen wurden untersucht, ein 400-seitiges Gutachten wurde erstellt und 2019 wurde vom Darmstädter Magistrat beschlossen, acht Straßen und Plätze umzubenennen, darunter auch den Georgiiplatz. In ihrem Bestreben, sich durch reine Symbolpolitik ihrer Verantwortung für die NS-Zeit zu entledigen, übersah die Darmstädter Politik jedoch das Wesentliche: Der Georgiiplatz liegt mitten in dem Gebiet, welches erst durch den großen Landraub mit Hilfe der Nationalsozialisten überhaupt zu Darmstadt kam. Und er liegt seit 2007 wieder auf Griesheimer Gemarkung und ist seit 2020 sogar im Eigentum der Stadt Griesheim. Es ist schon dreist, sich selbst von Schuld freisprechen zu wollen, indem man das Eigentum eines Nachbarn umbenennt, welches man selbst diesem einstmals gestohlen hatte.

Zusammenfassend ist festzustellen:

  1. Darmstadt beruft sich bei seinem Anspruch auf die Griesheimer Gemarkung auf eine Entscheidung von Sprenger, einem Mann, der sich in der NS-Zeit mit kriminellen Mitteln zum einzigen Mitglied der hessischen Landesregierung gemacht hatte.
  2. Nach der 1946 im Angesicht von formal legalisiertem Mord in der NS-Zeit von Gustav Radbruch formulieren „Radbruchschen Formel“ ist ein Gesetz, welches als „unerträglich ungerecht“ anzusehen ist, kein Gesetz, sondern gesetzliches Unrecht. Die deutsche Rechtsprechung hat sich diese Formel zu eigen gemacht und entschieden, dass in so einem Fall nicht nach dem gesetzlichen Unrecht, sondern nach der Gerechtigkeit zu entscheiden ist.
  3. Wenn Darmstadt sich glaubwürdig von seiner NS-Vergangenheit distanzieren will, dann muss es seine NS-Beute zurückgeben. Symbolpolitik reicht dazu nicht. Darmstadt kann sich nicht auf Gerechtigkeit bei der Umbenennung von Straßen berufen, aber gleichzeitig zum eigenen Vorteil auf ungerechtem gesetzlichem Unrecht beharren. Den Umbenennungsbeschluss für den Georgiiplatz muss man darüber hinaus bei der gegebenen historischen Situation als Verhöhnung der Stadt Griesheim und ihrer Bürgerinnen und Bürger bezeichnen.
  4. Die Stadt Darmstadt kann und will das geraubte Gelände nicht nutzbringend entwickeln. Der Traum von der Garnisonsstadt für die Wehrmacht endete im Feuersturm und die den Nationalsozialisten versprochene Siedlungstätigkeit im Material- und Arbeitskräftemangel der Aufrüstung. Es ist unverantwortlich, erschlossene Flächen bei dem gegebenen Flächenbedarf im Rhein-Main-Gebiet nicht einer Nutzung zuzuführen, weil man seitens der Stadt Darmstadt Angst hat, eine Schuld einzugestehen, wenn man die Flächen an den früheren Eigentümer, die Stadt Griesheim, zurückgibt, die sie als Einzige nutzen kann.
  5. Selbstverständlich erkennen auch wir in der WGG die inzwischen stattgefundenen Veränderungen an. Durch den Bau der Autobahnen sind natürliche und sinnvolle Grenzen entstanden, die beim Zuschnitt von Gemarkungen selbstverständlich berücksichtigt werden sollen. Daher fordern wir von Darmstadt nicht die Rückgabe aller seinerzeit geraubten Gebiete, sondern nur der Gebiete, die westlich der von den Autobahnen A5 im Norden und A67 im Süden gebildeten Grenze liegen.
Griesheims Zukunft?

Die Wählergemeinschaft Griesheim beschränkt sich auf die Griesheimer Kommunalpolitik. Damit haben wir den Vorteil gegenüber den Parteien, dass wir nicht auf Parteifreunde in Darmstadt, Beschlüsse in Kreis- oder Unterbezirksverbänden oder sonstige politische Interessen auf anderen Ebenen Rücksicht nehmen müssen. Unser Interesse gilt ausschließlich dem Wohl der Griesheimer Menschen. Daher fordern wir zur Beseitigung eines historischen Unrechtes und auch eines Schandfleckes:

Darmstadt, gib uns unser Land zurück!